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Die Politik und die Finanzierung des Hans-Sachs-Hauses

Am 21. Oktober 1921 beschloss die Stadtverordnetenversammlung Gelsenkirchen, 60.000 Mark für einen Architektenwettbewerb für das Projekt eines zentralen Bürohauses an der Bankstraße (heute Ebertstraße) zur Verfügung zu stellen. Schon am 20. Januar 1922 bewilligte die Versammlung dann eine erste Rate von 15 Millionen Mark, die aus Anleihemitteln zur Verfügung gestellt werden sollten. Die Baukosten insgesamt waren auf 23 Millionen Mark veranschlagt. Zum Vergleich: Im Jahr 1921 hatte die Stadt zur Finanzierung des Wohnungsbaus eine Anleihe von 44,3 Millionen Mark aufgenommen.

Ruhrbesetzung

Am 11. Januar 1923 marschierten französische Truppen in Gelsenkirchen ein. Passiver Widerstand und Generalstreik sowie Hyperinflation ließen 1923 keinen Raum für den Bau eines Bürohauses. Durch Gesetz vom 13. Oktober 1923 ersetzte die Rentenmark die bis dahin gültige, völlig entwertete Papiermark in einem Verhältnis von eins zu einer Billion. Der Umlauf der Rentenmark wurde durch Gesetz vom 30. August 1924 bereits wieder beendet. An ihre Stelle trat nun die Reichsmarkwährung, die bis zur Währungsreform von 1948 Gültigkeit hatte. Mit der Umstellung der Währung und dem Abzug der Franzosen zogen 1924 wieder stabilere wirtschaftliche Verhältnisse ein, und so konnte wieder an die Zukunft gedacht werden.

Am 8. Juli 1924 wurde in der Stadtverordnetenversammlung eine Anleihe von 3,5 Millionen Mark beschlossen, aus der die erste Rate der Ausgaben für das Haus bestritten werden sollte. Als Gesamtbaukosten waren 2,8 Millionen Mark veranschlagt, davon 1.815.000 Mark für das Bürohaus, 515.000 Mark für den Saal, der Rest für die Einrichtung des Hauses. Auch der Zukauf eines Grundstückes an der Vattmannstraße sollte aus der Anleihe bezahlt werden. Die Inangriffnahme des Baus wurde offiziell beschlossen.

Ein Jahr später, am 30. Juli 1925 - zwischenzeitlich hatten ein Bauarbeiterstreik und im Gegenzug eine Aussperrung den Bau erheblich verzögert -, konnte der Hauptausschuss der Stadt weitere 400.000 Reichsmark zur Fertigstellung des Flügels an der Munckelstraße bereitstellen.

Die Bauarbeiten gingen weiter, erste Ämter zogen ein, als im Januar 1927 eine weitere Rate von 1,5 Millionen RM freigegeben werden sollte. Mittlerweile wurden die Gesamtkosten auf 4,25 Millionen RM beziffert.

Diese Tatsache führte in der Stadtverordnetenversammlung vom 21. Januar 1927 zu einer heftigen Debatte. Die Fraktionen der Deutschen Volkspartei (DVP), der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) und der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) sowie einige Abgeordnete der Demokratischen Partei (DP) lehnten die Bewilligung der Mittel für den Weiterbau ab, da der ursprüngliche Kostenvoranschlag selbst bei Anwendung eines üblichen "Dehnungsfaktors" bei weitem überschritten sei, und mit dem Geld wesentlich wichtigere Dinge gemacht werden könnten. Auch die Rentabilität des Hauses wurde bestritten. Die Stimmen von SPD, Zentrum und den restlichen DP-Abgeordneten reichten nicht, mit 28 zu 27 Stimmen wurde die Bewilligung der Gelder abgelehnt.

Es folgten vier Wochen mit Beratungen, Versammlungen, Baubegehungen, kurzum: Überzeugungsarbeit. Die nächste Stadtverordnetenversammlung am 18. Februar 1927 sah wieder eine hitzigen Debatte. Der von der SPD gestellte Antrag, sämtliche Arbeiten am Bau sofort zu stoppen, wenn das Geld nicht bewilligt würde, wurde abgelehnt. Es kam zu einer namentlichen Abstimmung.

Sechs der 18 KPD-Abgeordneten stimmten jetzt für die Gelder. Es konnte weitergebaut werden. Auch die 62.964 RM für die Anschaffung der Orgel wurden in dieser Sitzung bewilligt.

Vier Jahre nach dem Abschluss der Bauarbeiten kam es noch einmal zu einer politischen Kontroverse um die Finanzierung des Hans-Sachs-Hauses, als die Abschlussrechnung der Stadtverordnetenversammlung am 16.06.1932 vorgelegt wurde.

Die Gesamtkosten betrugen demnach:
Für das Hans-Sachs-Haus: 5.486.808,08 RM
Für das Café, Garagen, usw.: 201.003,60 RM, also insgesamt: 5.687.811,68 RM

Abgeordnete fast aller Parteien, außer der SPD und dem Zentrum, wandten sich gegen die Tatsache, dass die Bauleitung ohne Zustimmung der Stadtverordnetenversammlung Mehrkosten von fast 1,3 Millionen RM zugelassen hatte. Außerdem wurde bemängelt, dass die Schlussabrechnung erst so spät fertig gestellt worden sei.

Nur 25 Abgeordnete stimmten für die Annahme der Schlussabrechnung, 30 dagegen.

Ein Antrag der kommunistische Fraktion, die für die Mehrkosten verantwortlichen Beamten zu entlassen und darüber hinaus mit ihrem gesamten Vermögen haftbar zu machen, wurde in derselben Ratssitzung abgelehnt.

Die Kosten des Baus konnten schließlich aufgebracht werden, weil aus einer Anleihe aus dem Jahre 1929 noch ca. 1,2 Millionen verwendet werden konnten, der Rest wurde aus laufenden Mitteln finanziert. Am 19. September 1932 war die Finanzierung des Hans-Sachs-Hauses abgeschlossen.

 

 

 

WAHLERGEBNISSE zur Stadtverordnetenversammlung in Gelsenkirchen 1919-1929

  1919 1924 1929
Zentrum 33,7 % 26,9 % 28,5 %
SPD 25,5 % 9,4 % 13,6 %
DVP 12,2 % 12,7 % 10,2 %
DNVP 4,2 % 6,4 % 4,0 %
Polen
partei
6,9 % 1,2 %  
DDP 4,2 % 4,5 %  
USPD 9,2 % 0,8 %  
KPD   32,5 % 22,2 %
Ost- und Westmärkerb.   3,4 %  
Turnen-,
Sport- u.
Jugend
pflege
  1,9 %  
Wirtschafts
partei
    6,5 %
Ev. Ver.     5,7 %
NSDAP     2,0 %

Radierung von Wilhelm Nengelken der Bauleitung zur Einweihungsfeier des Musiksaales: "9 Bilder vom Werden des Baues" (1927).
Radierung von Wilhelm Nengelken aus der Festschrift der Bauleitung zur Einweihungsfeier des Musiksaales: "9 Bilder vom Werden des Baues" (1927).
 
Radierung von Wilhelm Nengelken aus der Festschrift der Bauleitung zur Einweihungsfeier des Musiksaales: "9 Bilder vom Werden des Baues" (1927).
Radierung von Wilhelm Nengelken
 
Radierung von Wilhelm Nengelken aus der Festschrift der Bauleitung zur Einweihungsfeier des Musiksaales: "9 Bilder vom Werden des Baues" (1927).
Radierung von Wilhelm Nengelken
 
Radierung von Wilhelm Nengelken aus der Festschrift der Bauleitung zur Einweihungsfeier des Musiksaales: "9 Bilder vom Werden des Baues" (1927).
Radierung von Wilhelm Nengelken